Das Kanopus-Dekret ist die Bezeichnung eines in griechischer sowie demotischer Sprache verfassten Beschlusses einer Priestersynode im Jahr 238 v. Chr., dem neunten Regierungsjahr des Pharaos Ptolemaios III., der zwecks Ehrung im Jahr 237 v. Chr. von Ptolemaios III. und seiner Gemahlin Berenike II. am Tag des heliakischen Aufgangs des Sirius veranlasst wurde.

Das Kanopus-Dekret stand außerdem in Zusammenhang mit den Neujahrsfeierlichkeiten hinsichtlich der Göttin Bastet und beinhaltete die Regelung, dass die Jahreszeit Heriu-renpet alle vier Jahre um einen sechsten Tag ergänzt werden sollte. Mit dieser Ergänzung als Schalttag sollte außerdem die Verlagerung der Jahreszeiten im ägyptischen Verwaltungskalender verhindert werden.

Fundgeschichte

Bereits am 15. April 1866 fanden Leo Reinisch und Richard Lepsius die Ausführungen des Dekretes auf einer vollständig erhaltenen Kalksteinstele in Tanis (neben dem wissenschaftlichen Wert war mit diesem Fund ein handfester wissenschaftsgeschichtlicher Streit um die Urheberschaft der Entdeckung verbunden). 1881 wurde durch Gaston Maspero in Kom el-Hisn eine erste Kopie entdeckt. In der Folgezeit kamen nur kleine oder schlecht erhaltene Fragmente aus weiteren Grabungen an verschiedenen Orten hinzu.

Während der 18. Grabungskampagne des deutsch-ägyptischen Tell Basta-Projektes in Bubastis wurde am 16. März 2004 im ersten Hof des Großen Tempels der Göttin Bastet eine weitere Kopie des Kanopus-Dekretes gefunden. Das Dekret war für die Bevölkerung gut sichtbar direkt am Eingang des Bastet-Tempels aufgestellt. Es befand sich nur wenig entfernt von den Statuen Osorkons II. und seiner Gemahlin Karoama. Der neue Fund ist der größte Neufund einer Kopie seit über 100 Jahren und gilt als wichtige dritte Bezugsquelle neben den von Lepsius und Maspero gefundenen Exemplaren.

Aus den Textausführungen wird die Bedeutung der Stadt Bubastis sichtbar, in der die Kultfeierlichkeiten der Göttin Bastet abgehalten wurden, die neben dem Min-Fest, dem Opet-Fest und der Nilschwemme als wichtigste Ereignisse zum ägyptischen Neujahrstag genannt werden.

Inhalt

Im 8. Regierungsjahr von König Ptolemaios III. Euergetes trat in Kanopus, einer Hafenstadt im westlichen Nildelta, eine Priestersynode zusammen. Bereits zuvor hatten Ptolemaios und seine Gemahlin Berenike dem Land mehrere Wohltaten erwiesen, indem zum Beispiel von Persern verschleppte Götterbilder zurückgeführt oder anlässlich einer Dürre auf Steuereinnahmen verzichtet und zusätzliches Getreide aus Nachbarländern für die Bevölkerung importiert wurde. Die Synode fasste daher folgenden Beschluss:

  1. Ausweitung der bestehenden Verehrungen des Königspaares in den Heiligtümern des Landes.
  2. Zu den bestehenden vier Priesterphylen sollte eine zusätzliche fünfte Phyle eingerichtet werden, die den Namen „Wohltätige Götter“ (Beiname des Königspaares) trug.
  3. Öffentliche Festversammlung für Ptolemaios und Berenike am Tag des Sirius-Aufgangs (ägyptischer Neujahrstag).
  4. Einführung eines Schaltjahres. Alle vier Jahre sollte im ägyptischen Kalender ein zusätzlicher Tag als Festtag zu Ehren des Königspaares eingefügt werden.
  5. Besondere Bestattungsriten für die während der Synode verstorbene Tochter, die ebenfalls den Namen Berenike trug. Einrichtung eines Kultes der Berenike in allen wichtigen Landestempeln.
  6. Anfertigung von Stelen, auf denen die Verfügung in Hieroglyphen, Demotisch und Griechisch geschrieben werden sollte. Aufstellung an gut sichtbarer Stelle in allen wichtigen Heiligtümern des Landes.

Auszüge aus dem Kanopus-Dekret

Der Erlass

Tod der Tochter Berenike

Festtag für die verstorbene Tochter Berenike

Passage zur Kalenderreform

Einfügung eines Schaltjahres

Kontroverse Diskussionen löste eine Passage im Kanopus-Dekret aus, nach der „Sothis sich im Kalender alle vier Jahre um einen Tag verschiebt“. Ludwig Borchardt nahm eine „ungenaue Ausdrucksweise“ an, die eine nur seltene Verschiebung nach drei Jahren nicht erwähnt. Eduard Meyer wertete die Ausführungen im Dekret hingegen als Nachweis für einen bestehenden schematisierten Sothis-Kalender. Rückrechnungen nach der Censorinus-Feststellung, dass ein Sothis-Zyklus konstant 1.460 Jahre betragen würde, schienen Meyers Aussage zu stützen.

Die Priesterversammlung trat noch im 8. Regierungsjahr von Ptolemaios an dessen Geburtstag (28. Oktober) zusammen, während das Verkündungsdatum schon in das 9. Herrschaftsjahr fiel. Der Beschluss konnte sich daher frühestens auf das Jahr 237 v. Chr. nach dem heliakischen Aufgang von Sirius auswirken. Der im Dekret genannte und alle vier Jahre einzufügende Schalttag hatte den ausdrücklichen Zweck, den „Sothis-Tag“ auf den 1. Payni zu fixieren. Der 1. Thot fiel 238 v. Chr. auf den 18. Oktober. Wenn ein schematisierter Sothis-Kalender vorgelegen hätte, wäre Sirius 237 v. Chr. dennoch auf den 2. Payni gewandert. Eine mögliche Verlegung des Dekret-Datums auf 239 v. Chr. kann ausgeschlossen werden, da alle ägyptischen Kalender nur im Jahr 237 v. Chr. die beschriebene Konstellation aufwiesen.

Gegen das Bestehen eines schematisierten Sothis-Kalenders sprach sich unter anderem Richard Anthony Parker aus, der sich auf die astronomischen Aufzeichnungen beruft, die erst für 236 v. Chr. ein Vorrücken von Sothis signalisieren. Parker wertete diesen Umstand als Beleg, dass Sothis-Aufgänge mittels Beobachtung aufgezeichnet wurden und deshalb ein astronomischer Sothis-Kalender in Gebrauch war.

Schematisierter Mondkalender

Zur Berechnung von Mondzyklen lag den Ptolemäern bereits ein schematisierter Datenzyklus zugrunde, der erkennen ließ, dass 237 v. Chr. eine besondere Kalendersituation eintreten und das Zusammenlegen der Feierlichkeiten ermöglichen würde. Aus diesem Grund sollte die Einführung eines zusätzlichen sechsten Epagomenentages im Jahr 237 v. Chr. die sonst übliche Verschiebung der Kultfeste blockieren. Die nächste gemeinsame Übereinstimmung der Festtage hätte sich erst im nächsten Sothis-Zyklus ergeben.

Der Kalender des Ptolemaios

Thronbesteigung und Dekret-Jahr

Die Priester bezogen den 17. Tybi im Kanopus-Dekret auf „den 17. Tybi von Ptolemaios“, weshalb der 3. März im ägyptischen Hauptkalender ausgeschlossen werden kann. Als Krönungsdatum wird mit dem „25. Dios“ Bezug auf den makedonischen Kalender genommen, wobei der Monat Dios den ersten Monat im Mondjahr markiert und zumeist auf Oktober/November fällt.

Im Jahr 238 v. Chr. fiel der 25. Dios auf den 17. November und der 7. Apellaios auf den 30. November

Nach der Kalenderreform

Nach der Kalenderreform 238 v. Chr. veranlasste die Priesterschaft 237 v. Chr. den üblichen Einschub des Schaltmonats Mesori II im bürgerlichen Mondkalender, da sonst der 1. Thot vor das ägyptische Neujahrsfest im Hauptkalender gefallen wäre.

Literatur

  • Adolf Erman: Die Religion der Ägypter. Ihr Werden und Vergehen in vier Jahrtausenden. 2. Auflage, ergänzte Neuauflage der Ausgabe von 1978 mit einem Nachwort von Eberhard Otto. Mit einem Vorwort von Jan Assmann. de Gruyter, Berlin u. a. 2001, ISBN 3-11-017040-X.
  • Wolfgang Helck, Eberhard Otto: Lexikon der Ägyptologie. Band 3: Horhekenu – Megeb. Harrassowitz, Wiesbaden 1980, ISBN 3-447-02100-4, S. 321.
  • Friedhelm Hoffmann: Ägypten – Kultur und Lebenswelt in griechisch-römischer Zeit. Eine Darstellung nach den demotischen Quellen. Akademie-Verlag, Berlin 2000, ISBN 3-05-003308-8.
  • Rolf Krauss: Sothis- und Monddaten. Studien zur astronomischen und technischen Chronologie Altägyptens (= Hildesheimer ägyptologische Beiträge. Band 20). Gerstenberg, Hildesheim 1985, ISBN 3-8067-8086-X.
  • Jean Meeus: Astronomische Algorithmen. Anwendungen für Ephemeris Tool 4,5. 2. durchgesehene Auflage. Barth, Leipzig u. a. 2000, ISBN 3-335-00400-0, Berechnungsprogramm Ephemeris Tool 4,5.
  • Jean Meeus: More Mathematical Astronomy Morsels. Willmann-Bell, Richmond (VA) 2002, ISBN 0-943396-74-3.
  • Richard A. Parker: The calendars of ancient Egypt (= Studies in ancient Oriental Civilization. Band 26, ISSN 0081-7554). University of Chicago Press, Chicago (IL) 1950.
  • Stefan Pfeiffer: Das Dekret von Kanopos. (238 v. Chr.). Kommentar und historische Auswertung eines dreisprachigen Synodaldekretes der ägyptischen Priester zu Ehren Ptolemaios' III. und seiner Familie (= Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete. Beiheft 18). Saur, München / Leipzig 2004, ISBN 3-598-77593-8.
  • Stefan Pfeiffer: Griechische und lateinische Inschriften zum Ptolemäerreich und zur römischen Provinz Aegyptus (= Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie. Band 9). Lit, Berlin / Münster 2015, ISBN 978-3-643-13096-9, S. 75–88 (Text und Übersetzung, Kurzkommentar und Literaturliste).
  • Christian Tietze, Mohamed Maksoud, Eva Lange: Ein Schaltjahr für das Königspaar. Universität Potsdam, Potsdam, Veröffentlichung am 4. Mai 2004, online.

Weblinks

  • Reshafim: Das Kanopus-Dekret (englisch)

Anmerkungen


Kunsthistorisches Museum Kanope mit Deckel in Form eines Affenkopfes

KanopusV 1, 2

KanopusDekret Wikipedia

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